BAG: Altersgrenzen bei Bewerbung im öffentlichen Dienst, 08.05.2025

BAG: Altersgrenzen bei Einstellungen im öffentlichen Dienst – Eine kritische Betrachtung des Diskriminierungsschutzes

Urteilsanalyse der Forschungsstelle für Arbeits- und Antidiskriminierungsrecht (Fosar)

BAG, Urteil vom 08.05.2025 – 8 AZR 299/24: Altersgrenzen bei Einstellungen im öffentlichen Dienst – Eine kritische Betrachtung des Diskriminierungsschutzes.

 

I. Sachverhalt und Prozeßverlauf

 

Der Kläger, geboren am 14. Mai 1956 und als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt , bewarb sich am 06. Februar 2023 auf eine ausgeschriebene Stelle als Sachbearbeiter/in für die Verwaltung einer Volkshochschule, die von der beklagten kommunalen Körperschaft des öffentlichen Rechts betrieben wird. Zum Zeitpunkt seiner Bewerbung hatte der Kläger die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits überschritten und bezog eine Altersrente. Alle 23 anderen Bewerber hatten diese Altersgrenze noch nicht erreicht.

 

Die Beklagte stellte am 27. März 2023 eine 1976 geborene Bewerberin befristet auf der Stelle ein und erteilte dem Kläger am 06. April 2023 eine Absage. Der Kläger forderte daraufhin unter Berufung auf eine Benachteiligung wegen Alters und/oder Schwerbehinderung eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Er machte geltend, er hätte nach § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, was unterblieben sei und eine Vermutung für eine Benachteiligung wegen Schwerbehinderung begründe. Auch die altersbedingte Ablehnung indiziere eine Diskriminierung.

 

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht bestätigte dies. Die Revision des Klägers vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) blieb ebenfalls erfolglos.

 

 

II. Die Entscheidung des BAG

 

Der 8. Senat des BAG wies die Revision des Klägers zurück und verneinte einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

 

 

Keine unzulässige Altersdiskriminierung: Das BAG stellte fest, daß der Kläger zwar unmittelbar wegen seines Alters benachteiligt wurde, da die Beklagte seine Bewerbung wegen des Überschreitens der Regelaltersgrenze ablehnte. Diese unterschiedliche Behandlung sei jedoch nach § 10 Satz 1 i.V.m. Satz 2 AGG zulässig.

 

 

Als legitimes Ziel i.S.d. § 10 Satz 1 AGG identifizierte das Gericht die "ausgewogene Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen" und die "Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung". Dieses Ziel, das Teil der Generationengerechtigkeit sei und der gesamten Gesellschaft diene, könne auch die Verweigerung der Einstellung eines "externen" Bewerbers rechtfertigen, der die Regelaltersgrenze bereits erreicht hat, wenn ein jüngerer, qualifizierter Bewerber zur Verfügung steht. Das BAG begründet dies mit der Wertung des tarifvertraglichen Regelungssystems des TVöD-V (§ 33 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 5 TVöD-V), das eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht und nur eine vorübergehende Weiterbeschäftigung bei besonderem Bedarf und fehlenden jüngeren Bewerbern erlaubt. Das Gericht betonte, daß es für die Legitimität dieses Ziels unerheblich sei, ob der Arbeitgeber die Altersgrenze in der Stellenausschreibung genannt oder die Gründe dem Kläger mitgeteilt habe. Die Ablehnung sei angemessen und erforderlich, da die Beeinträchtigung des Interesses älterer Menschen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, im Verhältnis zum Ziel der Generationengerechtigkeit hinzunehmen sei.

 

 

Keine unzulässige Schwerbehindertendiskriminierung: Das BAG verneinte auch eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Obwohl die Schwerbehinderung des Klägers der Beklagten bekannt war , bestand nach Ansicht des Gerichts keine Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gemäß § 165 Satz 3 SGB IX.

 

 

Der Senat führte eine teleologische Reduktion von § 165 Satz 3 SGB IX durch. Die Einladungspflicht entfalle, wenn der schwerbehinderte Bewerber die Regelaltersgrenze überschritten hat und die Ablehnung seiner Bewerbung aus Altersgründen nach § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt ist. Der Zweck des Vorstellungsgesprächs (§ 165 Satz 3 SGB IX), die Chancen des Bewerbers zu verbessern, könne in einem solchen Fall nicht sinnvoll verwirklicht werden, da eine erfolgreiche Präsentation nichts an der zulässigen Ablehnung ändern würde. Diese Auslegung verstoße nicht gegen die Richtlinie 2000/78/EG oder die UN-BRK, da die Einladungspflicht eine positive Maßnahme sei, zu der unionsrechtlich keine zwingende Pflicht bestehe.

 

 

III. Kritische Würdigung

 

Das Urteil des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 08.05.2025 (8 AZR 299/24) wirft im Kontext des umfassenden Diskriminierungsschutzes in Deutschland und der Europäischen Union erhebliche kritische Fragen auf. Während das Gericht die Förderung der Berufschancen jüngerer Generationen als legitimes Ziel anerkennt, erscheinen die Konsequenzen der Entscheidung für ältere und insbesondere schwerbehinderte Bewerber als problematisch und potenziell widersprüchlich zum Geist des Antidiskriminierungsrechts.

 

Ausweitung der Altersgrenzen-Rechtfertigung auf "externe" Bewerber: 

 

Das BAG dehnt die Rechtfertigung einer altersbedingten Ablehnung, die bisher primär auf die Beendigung bestehender Arbeitsverhältnisse nach Erreichen der Regelaltersgrenze (§ 10 Satz 3 Nr. 5 AGG) oder die Wiedereinstellung bereits ausgeschiedener Beschäftigter beschränkt war, nun explizit auf die Ablehnung "externer" Bewerber aus, die die Regelaltersgrenze überschritten haben. Dies wird mit einer "kohärenten und systematischen" Verfolgung des Ziels der Generationsgerechtigkeit begründet. Diese weite Auslegung birgt die Gefahr, den Arbeitsmarkt für ältere Menschen, die weiterhin erwerbstätig sein möchten oder müssen, erheblich einzuschränken. Die "ausgewogene Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen" ist ein legitimes Ziel, die damit verbundene umfassende Ablehnung qualifizierter älterer Bewerber aber in der Praxis ein erhebliches Einfallstor für Altersdiskriminierung. Der Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Teleologische Reduktion von § 165 Satz 3 SGB IX – Eine Aushöhlung des Schwerbehindertenschutzes? 

 

Die teleologische Reduktion der Einladungspflicht für schwerbehinderte Bewerber (§ 165 Satz 3 SGB IX) ist der wohl kritischste Punkt des Urteils. Das BAG argumentiert, die Einladung sei "bloße Förmelei", wenn die Ablehnung aus Altersgründen ohnehin gerechtfertigt sei. Diese Argumentation verkennt jedoch den doppelten Schutzzweck von § 165 Satz 3 SGB IX:

 

Förderung der Eignungsüberprüfung: 

 

Das Vorstellungsgespräch dient dazu, sich ein umfassenderes Bild von der Eignung eines schwerbehinderten Menschen zu machen und Vorbehalte abzubauen.

 

 

Abbau von Vorurteilen (auch über das Alter hinaus): 

 

Gerade bei schwerbehinderten Menschen soll das persönliche Gespräch die Möglichkeit bieten, Vorurteile zu entkräften, die sich aus den bloßen Bewerbungsunterlagen nicht ergeben. Wenn nun die Einladungspflicht entfällt, weil eine Rechtfertigung (hier das Alter) vermeintlich schon feststeht, wird die Chance genommen, andere, möglicherweise nicht altersbedingte Vorbehalte (die aber diskriminierend sein könnten) zu überprüfen oder auszuräumen.

 

Signalwirkung: 

 

Die Einladungspflicht hat zudem eine wichtige Signalwirkung für die Wertschätzung schwerbehinderter Menschen. Ihre Aushöhlung schwächt die Position schwerbehinderter Bewerber, die oft ohnehin schon mit doppelten Barrieren (Alter und Behinderung) zu kämpfen haben. Die Entscheidung ignoriert die kumulative Wirkung von Diskriminierungsmerkmalen ("Intersektionalität"), die in der Realität eine Rolle spielen können.

 

Priorisierung der Generationsgerechtigkeit vor dem umfassenden Schutz vulnerabler Gruppen: 

 

Das Urteil scheint die "Generationsgerechtigkeit" als ein Ziel zu priorisieren, das den individuellen Schutz älterer und schwerbehinderter Menschen in Bewerbungsverfahren überwiegen kann. Dies steht im Spannungsverhältnis zum Grundgedanken des AGG, Diskriminierung umfassend zu bekämpfen, und könnte als Signal verstanden werden, daß bestimmte Schutzmechanismen hinter anderen politischen Zielen zurücktreten. Insbesondere für Schwerbehinderte, die durch ihre Behinderung bereits einen Nachteil haben, schafft die Reduktion der Einladungspflicht eine zusätzliche Hürde.

 

Fazit der Kritik: 

 

Das Urteil des BAG mag aus der Perspektive einer reinen Effizienzbetrachtung tarifvertraglicher Altersgrenzen konsequent erscheinen. Aus Sicht eines umfassenden Antidiskriminierungsschutzes und der Realität älterer und schwerbehinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt ist die Entscheidung jedoch kritisch zu sehen. Sie schwächt die Position dieser vulnerablen Gruppen bei Einstellungen und könnte die bereits bestehenden Hürden weiter erhöhen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Rechtsprechung in der Praxis auswirkt und ob der Gesetzgeber oder der Europäische Gerichtshof diese Entwicklung in Zukunft bewerten.

Forschungsstelle für Arbeits- und Antidiskriminierungsrecht - Herfterather Mühle, Herfterath 61, 53804 Much

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